LEBEN UND STERBEN HEUTE UND IN DER ZUKUNFT
Alterslos
Die Menschen werden immer älter, die Aufbruchstimmung zu langem Leben greift um sich. Ist es realistisch bei guter Gesundheit 120 Jahre alt zu werden? Wie würde die Gesellschaft und das soziale Leben aussehen? Gelegenheit zu mehreren Karrieren in unterschiedlichen Branchen oder Tätigkeitsfeldern? Was wäre die Folge, wenn Menschen bis zu 100 Jahre in ihren Jobs bleiben?
Es gilt zu klären, welche Chancen wir nutzen und welche Risiken wir vermeiden müssen, welche neuen Gestaltungsmöglichkeiten sich für unser Leben ergeben und vor allem, welche tatsächlich den menschlichen Bedürfnisse entsprechen. Diese Antworten werden uns keine Algorithmen liefern.
Lebensgang setzt sich mit diesen Fragen der Lebensgestaltung auseinander, sieht die Bedeutung, in diesem Kontext Lösungen und Inspiration anzudenken. Lebensgang fokussiert sich primär nicht auf die Lebensverlängerung, sondern auf die Lebensqualität.
Weshalb weiter leben, wenn man das Leben gesehen hat?
Wer lange lebt, muss sich einiges einfallen lassen, um lebenslustig zu bleiben. Strandurlaube, leidenschaftliche Beziehungen, anregende Gespräche, selbst mehr vom Besten ist irgendwann mehr vom Gleichen.
Hat man das Leben wirklich einmal gesehen?
Was treibt die Lebenslust an? Wünsche? Die Kinder und Kindeskinder aufwachsen zu sehen? Grossvater zu sein? Welche Wünsche ziehen in die Zukunft und drängen zum Weiterleben? Ziele mit dem wir unser Leben füllen können oder wir die Ziele mit Leben füllen. Für was lohnt sich zu leben?
Lebensgang liefert Anregungen und Ideen zur Kunst der kreativen Lebensgestaltung.
Fördert den Prozess und das Selbstvertrauen, sich immer wieder neu zu erfinden.
Lebensgang fördert das Konzept der multiplen Persönlichkeit. Zum Beispiel mit unterschiedlichen Lebensphasen wie Karriere und Familie, Weltreisender, Pferde-Bauer, Konzeptkünstler.
Nachlassgestaltung
Was zählt, ist das gelebte Leben, und dieses gestalterisch zu manifestieren und zu reflektieren. Eine geistige und emotionale gesunde Auseinandersetzung mit dem Altwerden und Sterben.
Der amerikanische Philosoph Samuel Scheffler stellt in seinem Buch “Death and the Aferlife” die Frage, wie wir reagieren würden, wenn wir wüssten, dass wenige Wochen nach dem eigenen Tod die Welt unterginge, etwa weil ein Asteroid in die Erde kracht.
Scheffler meint, unser Leben würde komplett sinnlos: Nur die Existenz einer Nachwelt - nicht eines Jenseits - verleihe unserem Leben Sinn. Das Weltuntergangszenario würde letztlich unsere tiefsten Werte zerstören - während dies unser eigener Tod nicht tut. Langlebigkeit oder Unsterblichkeit der Welt ist also existenziell wichtig für uns.
Die Nachwelt spielt eine Rolle in unserem Leben, darum fördert Lebensgang Reflexion und Gestaltung, im Kontext mit dem eigenen Leben.
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Den Tod zu überwinden ist einer der ältesten Träume der Menschheit
Während ein Mensch in Europa des 17. Jahrhunderts gerade einmal 35 Jahre alt wurde, so sind es heute über 80 Jahre. Zu verdanken haben wir dies zu einem grossen Teil dem Fortschritt der Medizin. Die Medizin definiert Altern als Krankheit, Sterben wird als Versagen interpretiert.
Auch das Silicon Valley, allen voran Google mit dem Unternehmen Calico, macht sich auf den Weg, den ultimativen Menschheitstraum zu erfüllen: die Abschaffung des Todes. Die Schlüssel dazu sind Daten sowie der unerschütterliche Glaube, dass sich alle Probleme technisch lösen lassen.
Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, die durchschnittliche Lebensdauer weiter zu erhöhen.
Extrem: Leben in der Zukunft - mögliche Optionen?
Die schier unendlichen Möglichkeiten, wie unser Leben in einer fernen Zukunft aussehen könnte, verhindern jeden Versuch einer glaubwürdigen Prognose. Doch gerade deswegen ist es wichtig, dass wir uns verschiedene Szenarien vorstellen - und uns Gedanken darüber machen, was wünschbar ist und was wir verhindern wollen.
Gemäss folgenden Lebensstufenmodell werden wir alle viel mehr Freiheiten haben, unser Leben zu gestalten. Intelligente Maschinen erledigen die eintönige Arbeit, wodurch wir mehr Freizeit haben und uns auf kreative Tätigkeiten konzentrieren können. Die Fortschritte der Medizin erlauben es uns, Kinder erst nach der ersten Karriere zu bekommen. Und geschont durch ein entspanntes und durch sinnvolle Tätigkeiten geprägtes Leben, werden wir alle 120 Jahre alt werden.
Vielleicht ist dieser Blick in die Zukunft einfacher, denn die Aussichten für die Menschheit und den Planeten Erde sind nicht rosig.
1-10
- Selbstständige Produktion der eigenen Spielzeuge durch 3-D-Drucker.
- Erstellen eines individuellen Ernährungs- und Vorsorgeplans basierend auf der genetischen Konstitution.
- Betreuung durch Gross-, Ur- und Ururgrosseltern.
- Fahrausweis für autonome Fahrzeuge.
10-20
- Erste Verliebtheit zu einer künstlichen Intelligenz.
- Erwerb des ersten persönlichen Assistenzroboters zur Erledigung von Hausarbeiten und Unterstützung im Job.
- Regelmässiger Einsatz des intelligenten Entscheidungssystems, das in allen Lebenssituationen hilft, die beste Wahl zu treffen.
- Ausbildung zum Körpertherapeuten, der sich um das Wohlergehen kümmert und Implantate kontrolliert.
- Entnahme von Eizellen für “Social Freezing”.
20-30
- Einzug in die erste eigen Wohnkapsel mit integriertem Gemüsegarten und Möbeldrucker.
- Erster Jahresurlaub durch verkürzte Arbeitszeiten in der automatisierten Wirtschaft.
- Verjüngungskuren durch Stammzellentheraphien und Gehirnregenerationstraining.
30-40
- Berufliche Selbstständigkeit als Entschleunigungscoach.
- Einzahlen von Guthaben in die Zeitbank durch soziale Arbeit in der Gemeinde.
- Einquartierung der Ururgrosseltern in Anlegerwohnungen und Briefing des Pflegerobotors.
- Optimieren des Speiseplans zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Glättung der Gesichtshaut.
40-50
- Kauf der ersten Wasserquelle.
- Halten von Kochkursen für Kinder, um Herkunft von Lebensmitteln und Zubereitung von gesundem Essen zu vermitteln.
- Einsatz eines Implantats zur Erhöhung der sexuellen Aktivität.
- Entspannungsübungen im Orbit mit dem Space-Elevator.
50-60
- Geburt des ersten Kindes.
- Elternschaftsurlaub von 10 Jahren.
- Bezug von Betreuungsleistungen für Kinder aus der Zeitbank.
- Erwerb von Anteilsscheinen eines urban start-up in New York
60-70
- Wiedereinstieg ins Berufsleben mit neuer Karriere als Chief Creative Officer in einer Bank.
- Vergrösserung der Essblumenplantage mit weiteren Dachterrassen.
- Bezug des Vier-Generationen-Hauses.
- Beginn der Sammlung historischer Elektromobile.
70-80
- Erste Pensionierung
- Zeitvertreib mit einfachen Büroarbeiten
- Staatlich finanziertes Coaching zur Planung der individuellen freien Zeit.
- Investition von Ersparnissen in eine Reise zum Mars.
80-90
- Geburt des zweiten Kindes.
- Bezug aus der Zeitbank für Kinderbetreuung.
- Roboter als zweiter Lebenspartner.
- Reise zum Mars.
90-100
- Gehirntransplantation wegen zunehmender Demenz.
- Feier zum 100. Geburtstag mit sechs Generationen.
- Schachspiel mit dem intelligenten Stuhl.
- Affäre mit Mensch trotz Roboterbeziehung.
100-110
- Zweite Pensionierung.
- Seniorenstudium an der Universität der Lebenserfahrung.
- Entschlackung der Wohnung durch Ausbau von Küche und Bad zugunsten von Gemeinschaftsräumen in der Siedlung.
- Virtual-Reality-Unterhaltung: Replay der prägendsten Erlebnisse.
110-120
- Lebensabschiedfest mit Festmahl der Lieblingsspeisen aus jeder Lebensdekade.
- Download der Erinnerungen auf digitale Gedenkstätte für die Angehörigen.
Quelle: W.I.R.E.
Extrem: Option Freitod?
Und Nietzsche weinte
“Nicht die Wahrheit als solche ist mir heilig, sondern die Suche nach der eigenen Wahrheit. Welche Handlung wäre heiliger als die Selbstforschung?
Mein philosophisches Werk - sagen manche - sei auf Sand gebaut; meine Anschauungen wanderten wie Dünen. Doch einer meiner unverrückbaren Grenzsteine lautet: “Werde, der du bist.” Und wie sollte man zu dem vordringen, wer und was man sei, ohne Wahrheit?”
“Sprechen wir doch nicht über das blutlose Abstraktum Mensch” beharrte Breuer, “sondern über diesen einen Menschen aus Fleisch und Blut, meinen Patienten. Bedenken Sie seine Lage. Er hat nur noch Tage oder Wochen zu leben! Was hätte es für einen Sinn, ihm von Freiheit zu sprechen?”
Keineswegs entmutigt, reagierte Nietzsche sofort: “Wenn er aber doch nicht weiss, dass er sterben muss, wie sollte Ihr Patient wählen können, wie er sterben will?”
“Wie er sterben will, Professor Nietzsche?”
“Freilich. Er muss sich entscheiden, wie er dem Tod begegnen will: Ob er mit anderen sprechen will, letzten Rat erteilen will, die Dinge aussprechen will, welche er sich für das Ende aufgespart hat, sich von den anderen verabschieden will, allein sein will, weinen will, sich gegen den Tod auflehnen will, ihn verfluchen will, ihn dankbar annehmen will …”
“Wir sprechen also vom Freitod, Professor Nietzsche. Darf der Selbstmord wahrhaftig zur freien Disposition stehen?”
Und wieder äusserte sich Nietzsche bestimmt und unzweideutig: “Jeder Mensch gehört sein eigener Tod. Jeder sollte ihn auf seine Weise leben. Vielleicht - ich sage vielleicht - gibt es ein Recht, wonach wir einem anderen das Leben nehmen dürfen, aber keines, wonach wir ihm das Sterben nehmen dürfen. Dies ist nicht Trost, dies ist nur Grausamkeit!”
Breuer fasste nach: “Käme für Sie der Selbstmord jemals in Betracht?”
“Sterben ist schwer. Ich habe stets empfunden, dass das Vorrecht der Toten das sei, nicht mehr sterben zu müssen!”
Breuer versuche, den Gedanken an den Tod zu vertreiben. Er sagte sich seinen Lieblingsspruch her, einen Satz des Lukrez: “Der Tod geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.”
In seinem innersten gab er Nietzsche recht.
Wie mochte es wohl sein, so frei zu leben? Kein Heim, keine Verpflichtungen, keine Salärs zu zahlen, keine Kinder grosszuziehen, keine Termine, keine Rolle, keine Stellung in der Gesellschaft. Solche Freiheit hatte etwas sehr Verlockendes. Warum besass Friedrich Nietzsche so viel von ihr und Josef Breuer so wenig? Nietzsche hatte sich seine Freiheit genommen. “Weshalb kann ich es nicht?” stöhnte Breuer. Er lag im Bett, dachte, bis ihm schwindelte und um sechs der Wecker rasselte.
“Ich vermute”, fuhr Breuer fort, “dass man seine Krankheit “unfreiwillig” wählt, indem man eine Lebensführung wählt, welche Spannung erzeugt. Wird diese Anspannung übermächtig oder chronisch, dann greift sie wiederum auf einen empfindlichen Teil des Organismus über. Man wählt die Anspannung, und die Anspannung wählt die Krankheit!
Er möchte meinen Weg entdecken und ihn selber gehen. Noch versteht er nicht, dass es meinen und deinen Weg gibt, nicht aber den Weg.
Er will nur das Ja, das Zustimmende der Wahl, nicht vom Nein, vom Verzicht. Er ist ein Selbstbetrüger. Er trifft Entscheidungen, will jedoch nicht derjenige gewesen sein, der entschied. Er weiss, dass er unglücklich ist, doch er will nicht sehen, dass er ob des Falschen unglücklich ist! Er erwartet von mir Erleichterung, Trost und Glück.
Quelle: Irvin D. Yalom